Da schwärmen Generationen von Tauchern von dieser unfassbaren Stille unter Wasser. So ruhig wie dort sei es nirgends, loben sie. Haben dabei aber ein bisschen die Physik der Akustik außer Acht gelassen. Unter Wasser ist es nämlich genau genommen lauter als an Land. Allerdings hört man das nicht so. Für alle, die sich fragen: „Hää, wie jetzt?“, und dazu ein entsprechend ratloses Gesicht machen: weiterlesen!
Delfine fiepen, ein Korallenriff surrt wie eine schlecht isolierte Elektroinstallation. Und wenn irgendein aufgeregter Mittaucher mit seinem Shaker rappelt, weil er einen Hai gesehen, diesen dann allerdings durch das nervige Gebimmel postwendend in die Flucht geschlagen hat, dann merkt ein jeder Taucher: Es kann ja doch ganz schön laut sein unter Wasser. Er hört auch das Geräusch des Tauchboots, das den Motor aufheulen lässt. Kann aber partout nicht einschätzen, ob sich das Boot direkt über ihm oder in 100 Meter Entfernung befindet.
Wie kann es sein, dass man das vergleichsweise leise Knabbern eines hungrigen Papageienfisches laut vernimmt, wenn dieser Korallenstücke abbeißt, aber nicht mitbekommt, wenn über dem Tauchplatz ein Gewitter donnert? Physik ist des Rätsels Lösung, und wem jetzt der Begriff „Schall“ ins Bewusstsein wabert, der hat im Hirn soeben offenbar brachliegende Areale mit Open-Water-Kurs-Wissen aktiviert.
Das Schall-Schienennetz unter Wasser bietet ICE-Tempo
Schallwellen sind im Wasser etwa 4-Mal schneller als in der Luft. Das liegt daran, dass Wasser eine größere Dichte hat, quasi das Schall-Schienennetz ICE-tauglich ist, während die Geräusche an Land im Regionalbahn-Tempo unterwegs sind.
Der Unterschied zwischen ICE und Regionalzug ist für menschliche Ohren zu groß: Normalerweise bestimmt das Hirn die Richtung eines Geräuschs wie des Motorboots dadurch, dass es den Zeitabstand zwischen Eintreffen auf linkes und rechtes Ohr misst und blitzschnell im Hinterstübchen kalkuliert, wo sich das Gerät befindet. Der Schall-ICE saust indes unter Wasser blitzschnell durch; keine Chance für das Gehirn, da eine Richtung herauszufiltern. Man könnte es böse formulieren: Der Mensch ist einfach zu langsam. Genauso ist es übrigens mit der Entfernung: Weil sich Geräusche unter Wasser immer ähnlich gleichlaut anhören, ist es schwer zu erkennen, wie weit der Verursacher noch weg ist.
Dass ein leise surrendes Riff oder ein sich räuspernder Buddy gut zu hören sind, ist ebenfalls dem Schnellzug-Effekt zu verdanken: Der Schall kommt im dichten Wasser besser durch. Das Knuspern eines Papageienfischs würde man an Land vermutlich kaum wahrnehmen, unter Wasser aber schon. Weil’s da ja so wunderbar leise, dabei aber gleichzeitig so viel lauter ist.
cku