Sauerstoff: Medikament und Gift zugleich

Ohne Sauerstoff gibt es kein menschliches oder tierisches Leben. Die meisten Organismen, einschließlich des Menschen und der Pflanzen, und viele Bakterien, brauchen Sauerstoff um durch Oxidation Energie zu gewinnen. Der Sauerstoff wird dabei in der sogenannten Atmungskette wieder zu Wasser reduziert. Außerdem werden etliche Stoffwechselprodukte mithilfe von bestimmten Enzymen (Oxygenasen) oxygeniert und damit abgebaut.

Chemie: Sauerstoff, engl. oxygen, ist ein farbloses, geruchs- und geschmackloses Gas mit einer Dichte von p = 1,429 g/l unter Normalbedingungen. Der Siedepunkt liegt bei -183 °C und die Wärmeleitfähigkeit bei 26,4 mW/m- K. Der Sauerstoffanteil der atmosphärischen Luft beträgt rund 21 %. Entsprechend ist der Sauerstoffpartialdruck 0,21 bar.

Normobar sind nur 0,3 ml Sauerstoff pro Deziliter Blut physikalisch im Plasma gelöst. Da der chemisch an Hämoglobin gebundene Anteil nicht weiter gesteigert werden kann, wird durch die Atmung von 100 % Sauerstoff bei 1 bar Überdruck (= 10 m Tauchtiefe), der physikalisch gelöste Anteil des Sauerstoffs auf 2,1 ml/dl erhöht, bei 3 bar werden sogar 6,8 ml Sauerstoff pro Deziliter Blut zusätzlich transportiert. Durch die hyperbare Sauerstofftherapie können also bis zu 7 % Sauerstoff im Blut und damit mehr als das Zwanzigfache des Normalwertes gelöst werden.

Medikament Sauerstoff:
Sauerstoff zur Anwendung in der Humanmedizin unterliegt aufgrund gesetzlicher Regelungen strengen Kontrollen. Diese Art von 100 %-igem, medizinisch reinem Sauerstoff wird (in Deutschland) entweder in weißen, gekennzeichneten Flaschen gasförmig abgefüllt oder als Flüssigsauerstoff in Tanks geliefert. Er gilt in Deutschland als Fertigarzneimittel im Sinne des Arzneimittelgesetzes (AMG). Manchmal reicht der natürliche Sauerstoffgehalt der Atmosphäre nicht aus, um der gegebenen körperlichen Situation Rechnung zu tragen (z. B. nach Operationen, Lungenerkrankungen oder bei Neugeborenen etc. …) – oder es ist ein höherer Partialdruck im Blut notwendig, um bestimmte Heilungsprozesse zu initiieren (z. B. bei diabetischen Problemwunden, Knocheninfarkten).

Sauerstoff kann normobar (nach einem Tauchunfall, auf Intensivstation) oder hyperbar in einer Druckkammer verabreicht werden. Letzteres nennt man dann hyperbare Sauerstofftherapie (HBO). Dabei atmet der Patient 100 % medizinisch reinen Sauerstoff entweder über eine Maske oder direkt wenn die Kammer mit Sauerstoff befüllt ist (wegen der hohen Brandgefahr in Deutschland nicht zulässig). Je nach Umgebungsdruck steigt der Sauerstoffpartialdruck im Blut und in den Geweben an. Damit wird einerseits eine akute Oxygenation von mangelversorgten Gewebeabschnitten erzielt, andererseits werden unter anderem dadurch auch Heilungsprozesse z. B. durch Ödemabfluss, Abschwellung, Angioneogenese (Neubildung von Blutgefäßen) oder Absterben von Anaerobiern (strikt unter Sauerstoffabwesenheit wachsende Keime) erreicht. Für einen Tauchunfall ist eine HBO die einzige kausale Therapieform, da neben o. g. Wirkungsmechanismen die für die DCS verantwortlichen Stickstoffbläschen durch Rekompression zunächst wieder in Lösung gebracht und während der anschließenden Dekompression kontrolliert entsättigt werden. Zudem wird durch das Massenwirkungsgesetz vermehrt Stickstoff abgeatmet.

Die normobare Sauerstoffgabe kann entweder über ein offenes, halb offenes, halb geschlossenes oder geschlossenes System erfolgen. Die einzelnen Systeme unterscheiden sich im Sauerstoff-flow (constant flow oder Demand System), ob ein Rückatembeutel oder Reservoir zur Anwendung kommt. Davon abhängig ist, inwiefern sich bei der Einatmung normale Luft zumischt oder Sauerstoff bei der Ausatmung an die Umgebungsluft verloren geht. Abhängig vom System variieren der Sauerstoffverbrauch und wie lange der Sauerstoffvorat ausreicht in erheblichem Maße.

Gift Sauerstoff:

Sauerstofftoxizität:

Was in engen Grenzen ein Segen ist, kann bei Unter- oder Überschreitung ganz schnell ins Gegenteil umkippen. Unter einem Partialdruck von 0,16 bar wird man ohnmächtig, ist der Sauerstoffpartialdruck zu hoch drohen Vergiftungserscheinungen. Bei einem Umgebungsdruck über 1,6 bar droht die sogenannte „Oxidose“ (akute Sauerstoffvergiftung, Sauerstoffkrampf).
In Abhängigkeit von der Höhe des Partialdrucks und Dauer der Expositionszeit lassen sich zwei Arten von Wirkmechanismen beobachten:

  1. Die neurologische (das Nervensystem betreffende) Reaktion (Paul-Bert-Effekt)
  2. Die pulmonale (die Lunge betreffende) Auswirkung (Lorrain-Smith-Effekt)

Zu 1.)


Akute Sauerstoffvergifung
:

Bei Partialdrücken von 1,6 bar und mehr können Vergiftungserscheinungen des zentralen Nervensystems auftreten. Dieser sogenannte Paul-Bert-Effekt oder auch neurotoxischer Effekt ist eine Vergiftung des zentralen Nervensystems beim Atmen von hohen Sauerstoffkonzentrationen z. B. bei Verwendung von Sauerstoff angereicherter Luft (Nitrox) beim Tauchen oder bei der HBO. (Paul Bert, französischer Physiologe, 1833-1886). Je höher die Gesamtdosis – errechnet aus dem Produkt von Partialdruck und Zeit –, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit einer ZNS-Vergiftung. Da beim Tauchen mit sauerstoffangereicherten Gemischen die kritische Grenze überschritten werden kann, ist eine akute Sauerstoffvergiftung beim Tauchen mit Nitrox oder beim technischen Tauchen möglich. Sauerstoffkrämpfe wurden auch beim Freizeittauchen mit Druckluft in großen Tiefen beschrieben (ab 60 Meter) – Tiefen, in denen sich ein Taucher mit Druckluft normalerweise jedoch nicht aufhalten sollte.

Symptome einer akuten Oxidose sind: Unruhe, Metallgeschmack auf der Zunge, unkontrolliertes Zucken der Gesichtsmuskeln, Tunnelblick, Benommenheit, Übelkeit und schließlich generalisierte Krämpfe. Bei hohen Sauerstoffpartialdrücken treten diese Symptome bereits innerhalb weniger Minuten auf. Die Vorboten eines drohenden Sauerstoffkrampfes sind in der Regel zu kurz um unter Wasser noch adäquat reagieren zu können. Bis auf wenige Ausnahmen (Taucher mit Vollgesichtsmaske) folgt einem Sauerstoffkrampf unter Wasser der Ertrinkungstod. Selbst wenn schnelle Hilfe durch den Tauchpartner gegeben ist, kann ein Krampf unter Wasser weder kontrolliert werden noch gewinnt man das Wetttrennen zur Oberfläche vor dem Ertrinken. Während eines Krampfanfalls ist die Stimmritze fest verschlossen, sodass keine Luft aus der Lunge entweichen kann. Bei schnellem Auftauchen kommt es folglich zu einer Überblähung der Lunge oder sogar zu einem Lungenriss.
Beobachtungen bei Patienten aus der Hyperbarmedizin zeigen, dass die betroffene Person oft noch reflektorisch die Maske abstreift bevor der Krampf beginnt. Zu diesem Zeitpunkt ist der Patient jedoch schon nicht mehr bei klarem Bewusstsein. Auch wenn die Sauerstoffzufuhr in diesem Moment auf ein normales Maß gedrosselt wird, läuft der Krampf in voller Länge unbeeinflusst ab. Unter Wasser nehmen Taucher kurz vor einem Krampf häufig noch das Mundstück des Atemreglers aus dem Mund oder streifen die Maske ab. Versuche das Mundstück wieder einzusetzen misslingen immer, da die Zähne fest aufeinander gebissen werden und sich der Kiefer nicht mehr öffnen lässt.

 

Zu 2)
Chronische Sauerstoffvergiftung:
Bei längeren Expositionszeiten von Sauerstoff oder sauerstoffreichen Gemischen (>24 h) kann es – auch bereits bei niedrigen Partialdrücken (< 1 bar) – zu Schädigungen kommen. Dies ist im Tauchsport im Grunde nur bei wiederholten Rekompressionstherapien nach einer Dekompressionserkrankung von Bedeutung, da ein Taucher kaum die dafür notwendigen, langen Expositionszeiten unter Wasser aufweist.

 

Zielorgan ist dabei meist die Lunge. Mit steigendem Druck reduziert sich die Einwirkungszeit, um gleiche Lungenschädigungen hervorzurufen. Aus früheren Zeiten kennt man auch die Beeinträchtigung der Netzhaut bei längerer Sauerstoffgabe bei Frühgeborenen im Brutkasten, die zur Erblindung führte (retrolentale Fibrose). Die Schädigung der Lunge wird auch als „Lorrain-Smith-Effekt“ bezeichnet. Benannt wurde der Effekt nach dem britischen Arzt James Lorrain Smith (1862-1931). Der Mechanismus, der dahinter steckt, besteht aus einer Ödembildung (Flüssigkeitsanreicherung) in den kleinen Lungenbläschen (Alveolarödem) und einer Schädigung des Surfactant Factor, was einen Alveolenkollaps zur Folge hat. Dies vermindert die zur Verfügung stehende Lungenoberfläche für den Gasaustausch. Die Symptome der pulmonalen Sauerstofftoxizität beginnen mit Reizungen des Rachens und gelegentlichem Husten, die sich bei weiterer Einwirkungszeit zu einem unkontrollierbaren, schmerzhaften Husten und zu Engegefühl in der Brust, Schwindel, Leistungsschwäche und Schmerzen beim Atmen steigern können. Das Lungengewebe wird zunehmend geschädigt. Die Strukturveränderungen sind zu Anfang noch reversibel, können aber nach langen Expositionszeiten auch permanent und unheilbar werden und – letztendlich wegen ungenügender Sauerstoffversorgung des Körpers – sogar zum Tode führen.

Als tolerierbare Obergrenze des Sauerstoffpartialdruckes werden heute 0,5 bar angesehen, die auch über längere Zeiträume ohne schädigende Wirkungen geatmet werden können. Daher darf bei Sättigungstauchgängen der Sauerstoffpartialdruck von 0,5 bar nicht überschritten werden. Bei Tauchgängen mit Druckluft, die auf 50 m Wassertiefe begrenzt sind, beträgt der Partialdruck max. 6 bar x 0,21 = 1,26 bar. Dieser Sauerstoffpartialdruck würde eine Einwirkungszeit von etwa 8 h erfordern, um eine Schädigung der Lunge in einer Größenordnung von 2 % zu erreichen. Da aber aus Dekompressionsforderungen die Tauchzeit für 50 m Tiefe auf etwa 1 h begrenzt ist, kann bei Drucklufttauchgängen eine chronische Sauerstoffvergiftung ausgeschlossen werden. Anders ist es bei Behandlungen von schweren Tauchunfällen in Druckkammern, wo durch bewusst hohe Sauerstoffpartialdrücke neurologische Vergiftungserscheinungen auftreten könnten, insbesondere dann, wenn der Taucher körperlich erschöpft ist oder – aufgrund der Schwere der DCS II – repetitive Rekompressionstherapien notwendig werden. Um eine kalkulatorische Risikoabschätzung einer Sauerstoffschädigung vornehmen zu können, hat man in der Tauch- und Überdruckmedizin die sogenannte „UPTD“ (Unit Pulmonary Toxic Dose) eingeführt. Eine UPTD errechnet sich wie folgt: 1 UPTD = Umgebungsdruck 1 bar mit 100 % Sauerstoff für 1 Minute. Anhand von Tiermodellen weiß man, dass bei 615 UPTDs bereits mit ersten Lungenfunktionseinschränkungen gerechnet werden muss. Dies muss im Therapieprotokoll berücksichtigt werden.

Die Sauerstoffverträglichkeit und die Sauerstoffsensibilität sind individuell verschieden – was der eine noch problemlos wegsteckt, ist für manch anderen schon zu viel. Die Sauerstofftoleranz variiert jedoch nicht nur zwischen den einzelnen Menschen, sondern individuell auch von Tag zu Tag und ist abhängig von der körperlichen Verfassung und jeweiligen Tagesform. So ist die Verträglichkeit in Ruhe deutlich größer als beispielsweise bei schwerer Arbeit unter Wasser, was sich in den unterschiedlichen Toleranzgrenzen in einer Druckkammer im Gegensatz zum Nasstauchgang im Wasser ausdrückt. Schlafmangel, Dehydration, Alkoholeinfluss und Aufregung steigern die Sensibilität.

Dies relativiert die sogenannten Sauerstofftoleranztests, die bereits 1942/43 durch die britische Regierung durchgeführt wurden, erheblich.

Sauerstofftoleranztest: Zur Erkennung einer besonderen Sauerstoffempfindlichkeit und der individuellen Toleranzgrenze werden auch heute noch Sauerstofftoleranztests durchgeführt. Dabei atmet der Kandidat in einer Druckkammer unter einem Partialdruck von 2,8 bar für eine halbe Stunde reinen Sauerstoff. Nach Eintreten der ersten Symptome wird die Exposition abgebrochen. Der Aussagewert dieser Tests ist allerdings mehr als fragwürdig und sollte keinesfalls als ein „Sauerstoff-TÜV“ für eine bestimmte Tiefe angesehen werden. Was an einem Tag problemlos toleriert wird, kann am nächsten Tag – bei anderer körperlicher Verfassung, Wassertemperatur, Anstrengung, etc. … – schon wieder völlig anders sein.

Hiernach haben wir die zwei Grafiken eingefügt, die wir Ihnen angehängt haben.

Ein Beitrag von aquamed

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